Schwierige Flüchtlingshilfe in Russland

Die "Zivile Unterstützung" ist die einzige russische NGO, die sich seit Jahrzehnten für die Belange von Flüchtlingen einsetzt. Sie gilt bei den Behörden als "ausländischer Agent". Ihre Arbeit wird stark behindert.

Die "Zivile Unterstützung" ist die einzige russische NGO, die sich seit Jahrzehnten für die Belange von Flüchtlingen einsetzt. Sie gilt bei den Behörden als "ausländischer Agent". Ihre Arbeit wird stark behindert.

Lido Said arbeitete als Deutsch- und Mathematiklehrerin in einer afghanischen Mädchenschule. Obwohl die Taliban Unterricht für Mädchen als "Sünde und Schande" verurteilte, ging Lido weiter ihrem Beruf nach. Eines Tages wurde ihr Ehemann von Unbekannten verprügelt, weil er, so deren Vorwurf, seiner Frau erlaubt habe, als Lehrerin zu arbeiten. Später verschwand er und wird bis heute vermisst. Lido sah sich gezwungen, mit ihrer Tochter über Kabul und Usbekistan zu ihrem Schwager nach Russland zu ziehen. Um die Reise bezahlen zu können, habe sie ihr Haus und Gold verkauft. Einem Schleuser habe sie 4000 Dollar geben müssen, berichtet Lido.

Seit mehr als einem Jahr hält sich die Frau mit ihrem Kind illegal in Russland auf. "Anträge auf einen Flüchtlingsstatus oder vorübergehendes Asyl wurden abgelehnt", beklagt Jelena Burtina, stellvertretende Leiterin der russischen Flüchtlingshilfsorganisation "Zivile Unterstützung". Deswegen versuche Lido über das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR), in einem Drittland Asyl zu erhalten. "Chancen gibt es kaum, aber wir versuchen es", so die Menschenrechtlerin.

Nach Lido ist ein Jemenite an der Reihe. Im Nachbarzimmer erzählt eine Frau aus der Ukraine ihre Geschichte. Auf dem Flur warten Syrer, Tschetschenen und Tadschiken. Täglich suchen etwa 50 Personen die "Zivile Unterstützung" auf. Trotz deren Hilfe seien die Aussichten auf Asyl in Russland gering, bedauert Burtina. Derzeit hätten nur rund 600 Menschen einen Flüchtlingsstatus. Und vorübergehendes Asyl werde nur gewährt, wenn es Anweisungen von oben gebe. "Das ist dann Teil einer politischen Kampagne. Zurzeit muss man Ukrainern Zuflucht gewähren. Während des Krieges in Georgien waren es Osseten", so Burtina.

Nicht nur humanitäre Hilfe

Die "Zivile Unterstützung" entstand 1990 in Moskau, als Armenier aus Aserbaidschan nach Moskau flüchteten. "Damals leisteten wir humanitäre Hilfe, beschafften Kleidung und Medikamente" erinnert sich Burtina. Die NGO hatte noch kein eigenes Gebäude und nutzte Räume der Zeitung "Literaturnaja Gaseta". Nach den Unruhen von Baku kamen die Konflikte in Berg-Karabach, Tadschikistan, Abchasien und der Tschetschenien-Krieg.

Mit der Zeit erkannte die Organisation, dass Lebensmittel, Kleidung und Unterkunft nicht die einzigen Probleme von Flüchtlingen sind. Eines ihrer größten ist die Kommunikation mit den Behörden. Um auch hier helfen zu können, studierten die Mitarbeiter der "Zivilen Unterstützung" die russischen Migrationsgesetze.

1998 bot das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, der NGO finanzielle Hilfe an. Die reichte für eine günstige Miete und Gehälter für die bis dahin ehrenamtlichen Mitarbeiter. Sie konnten sich so den Flüchtlingen voll widmen und sich auch mit weiteren Projekten befassen, darunter mit der Bekämpfung der Diskriminierung von Kaukasiern in russischen Gefängnissen. Ferner kümmern sie sich um die Integration von Flüchtlingskindern in die Gesellschaft. Sie vertreten zudem vor Gericht Opfer fremdenfeindlich motivierter Gewalttaten.

"Ausländischer Agent"

Ende April setzte das russische Justizministerium die "Zivile Unterstützung" auf die sogenannte Liste "ausländischer Agenten". Laut einem Gesetz aus dem Jahr 2012 gelten Organisationen als "ausländische Agenten", wenn sie aus dem Ausland finanziell unterstützt werden und sich an politischen Aktivitäten beteiligen. Ausländische Finanzhilfen für ihre Projekte bestreitet die NGO nicht. Doch kann man ihre Tätigkeit auch als politisch bezeichnen?

Die Staatsanwaltschaft sehe dies bei zwei Projekten gegeben, berichtet die Leiterin der "Zivilen Unterstützung", Swetlana Gannuschkina. Im Rahmen des ersten würden Experten der NGO prüfen, inwieweit die russischen Gesetze Schlupflöcher für Korruption bieten. Das zweite Projekt befasse sich mit der Humanisierung des Strafvollzugs. "Wir haben Fälle von Prügel, Folter und Misshandlung von Gefangenen aufgedeckt", so Gannuschkina. Sie ist überzeugt, dass die Projekte nicht als politische Betätigung betrachtet werden können, schon gar nicht im ausländischen Interesse.

Die Menschenrechtler kritisieren scharf, dass ihre Organisation als "ausländischer Agent" gebrandmarkt wird. "Es ist viel schwieriger, mit Behörden wie dem Föderalen Migrationsdienst, dem Innenministerium, dem Grenzschutz, dem Gesundheitsministerium und vielen anderen zusammenzuarbeiten. Bisher hatten sie unsere Anfragen zumindest beantwortet", sagt Jelena Burtina und fügt hinzu, dass das Justizministerium ein weiteres Gesetz plane. Es solle Beamten verbieten, an der Tätigkeit "ausländischer Agenten" mitzuwirken. Das gefährde die gesamte Arbeit der NGO.

Quelle: DW