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Hoffnungsträgerin

Die Aktivistin Nadezhda Kutepova musste aufgrund ihres Engagements gegen die Atomindustrie aus Russland fliehen und Asyl in Frankreich beantragen. Interview: Jeanna Krömer

„Nadezhda“ ist in Russland nicht nur ein Frauenname, das Wort bedeutet auch „Hoffnung“. Die 44-jährige Vorsitzende der russischen NGO Planet of Hopes, Preisträgerin des „Nuclear Free Future Award“ (2011) und vierfache Mutter Nadezhda Kutepova steht für viele Menschen tatsächlich für Hoffnung. Sie engagiert sich schon seit Jahrzenten für Majak, wo es 1957 einen schweren atomaren Unfall gab. Kutepovas Großmutter und ihr Vater sind an Krebs gestorben, nachdem sie in der Atomindustrie gearbeitet hatten.

Die Aktivistin Nadezhda Kutepova musste aufgrund ihres Engagements gegen die Atomindustrie aus Russland fliehen und Asyl in Frankreich beantragen. Interview: Jeanna Krömer

„Nadezhda“ ist in Russland nicht nur ein Frauenname, das Wort bedeutet auch „Hoffnung“. Die 44-jährige Vorsitzende der russischen NGO Planet of Hopes, Preisträgerin des „Nuclear Free Future Award“ (2011) und vierfache Mutter Nadezhda Kutepova steht für viele Menschen tatsächlich für Hoffnung. Sie engagiert sich schon seit Jahrzenten für Majak, wo es 1957 einen schweren atomaren Unfall gab. Kutepovas Großmutter und ihr Vater sind an Krebs gestorben, nachdem sie in der Atomindustrie gearbeitet hatten.

Doch solche Spätfolgen werden noch heute vom Staat vertuscht. Weil Nadezhda Kutepova sie unermüdlich öffentlich gemacht und die Betroffenen juristisch unterstützt hat, wurde sie in ihrem Heimatland politisch verfolgt und musste nun im November 2015 nach Frankreich fliehen.

Was hat Sie dazu gebracht, alles hinter sich zu lassen und aus Russland zu fliehen?

Ich habe mein Land verlassen, weil ich Angst hatte, wegen des Vorwurfs des Verrats und der Spionage verhaftet zu werden. Die letzten 15 Jahre habe ich die Organisation Planet of Hopes in der geschlossenen Stadt Ozersk in der Region Chelyabinsk geleitet. (Geschlossene Städte sind russische Gebiete mit Zutrittsbeschränkungen, oft militärische Stützpunkte oder Standorte der Rüstungs- und Nuklearindustrie, Anm.) Wir vertreten Menschen, die von Strahlenunfällen betroffen sind und in geschlossenen Städten wohnen, die typischerweise Atomindustrie-Anlagen haben. Die Probleme, die wir mit den Behörden hatten, waren nichts Neues, aber im April letzten Jahres wurden wir von einem Gericht verurteilt, wir wurden als „ausländische Agenten“ klassifiziert und es wurde verkündet, unsere Aktivitäten liefen den Interessen der Russischen Föderation zuwider.

Danach begann eine massive mediale Hetzkampagne gegen uns. Meine persönlichen Daten wurden öffentlich gemacht, man hat mein Haus im Fernsehen gezeigt, usw. Meine FreundInnen haben mir geraten, das Land schnell zu verlassen, wenn ich nicht im Gefängnis landen und meine Kinder ins Waisenhaus bringen will. Ich bin allein sorgeberechtigt für meine Kinder, da ich seit vielen Jahren geschieden bin, und der Vater den Unterhalt und den Kontakt mit ihnen verweigert. Eine Gefängnisstrafe würde für mich bedeuten, dass meine Kinder alleine bleiben, das konnte ich nicht zulassen.

Umweltfragen sind politisch so brisant geworden, dass diejenigen, die sich damit beschäftigen, verfolgt werden?

Umweltrechte der BürgerInnen sind mit anderen Menschenrechten eng verbunden. Jeder Mensch hat das Recht auf eine sichere und saubere Umwelt. Aber zugleich ist dieses Recht an jene auf ein unversehrtes Leben, auf Privatsphäre und Eigentum gekoppelt. Und auch untrennbar mit Frauenrechten verbunden, schließlich werden bei Umweltkatastrophen auch die Rechte von Frauen verletzt, weil Frauen immer an vorderster Front sind, wenn es um Krankheiten und Pflege in den Familien geht. Denn wenn das alltägliche Lebens schwieriger wird, wird all das den Frauen aufgebürdet. Deshalb sind Umweltfragen auch politische Fragen und sie betreffen nicht nur unzählige Menschen, sondern meist sogar mehrere Generationen.

Konkret arbeiteten wir in einem Gebiet, in dem der erste Atomunfall geschehen ist. Im Jahr 1957 gab es in der kerntechnischen Anlage „Majak“ in Ozersk einen Unfall, dessen Ausmaß etwa halb so groß war wie die Katastrophe in Tschernobyl. Doch weil es dabei um Atomwaffenproduktion ging, wurden alle Informationen über den Vorfall als geheim eingestuft. Und obwohl danach mehr als fünfzig Dörfer umgesiedelt werden mussten, haben bis in die 1990er-Jahre selbst die BewohnerInnen der Region nichts von diesem Unfall gewusst! Ihr Recht auf Information, auf unversehrtes Leben und Eigentum wurde verletzt. Die, die umziehen mussten, haben keine Entschädigung erhalten.

Heute leiden selbst deren Nachkommen an den Spätfolgen des Unfalls. Die Behörden weigern sich aber, ihre Krankheiten als Folge der Strahlenbelastung anzuerkennen, die Statistiken werden verschwiegen und den Ärzten ist es nicht erlaubt, die Diagnose „Strahlenkrankheit“ zu stellen.

Wir helfen den Opfern dabei, mit einem unabhängigen medizinischen Gutachten eine korrekte Diagnose zu erhalten, und damit vor Gericht Schadenersatz zu fordern. Deshalb wurde unsere Arbeit als „die Investitionsattraktivität der Region senkend“ und schädlich für das Land gewertet.

Wie gastfreundlich ist Frankreich zu Ihnen?

Ich bin zufällig in Paris gelandet. Es war einfach eine französische Menschenrechtsorganisation, die mir zur Flucht geraten hat. Am Anfang hatte ich keinen Sinn dafür, dass ich im wunderbaren Paris bin. Ich habe nur den ganzen Tag geweint, es war ein Schock für mich, was geschehen ist.

Zuerst waren wir mit einem Touristenvisum im Land. Viele Menschen haben uns mit großer Sympathie empfangen. Diese Unterstützung von uns praktisch unbekannten Menschen hat mich wirklich berührt. Als ich schließlich erkannte, dass es unmöglich ist, zurückzukehren und unser Visum abgelaufen war, blieb uns nichts anderes übrig, als Asyl zu beantragen. Danach wurde ich erstmals mit der Bürokratie konfrontiert.

Die MitarbeiterInnen der verschiedenen Organisationen, die Geflüchteten helfen, sind oft selbst nicht ausreichend informiert. Hätte man in meiner Akte z. B. von Anfang an den Vermerk „Menschenrechtsaktivistin“ gemacht, wäre alles leichter gewesen, denn damit gibt es einen besonderen Status und ein schnelleres Verfahren. Das wurde aber nicht gemacht, obwohl ich viele Male darauf hingewiesen habe. Das hat mein Leben mit den Kindern viel komplizierter gemacht, nur weil die MitarbeiterInnen der registrierenden Organisation nicht wussten, warum sie es hätten vermerken sollen. Es gab z. B. ein Programm für geflüchtete Kinder, das kostenlose Karten für Theater und Museen vergibt, aber keiner der MitarbeiterInnen der betreuenden Organisation wusste, wie man sie bestellt. Als wäre ich die erste Mutter, die sich für diesen Angebot interessiert! Manche MitarbeiterInnen konnten die einfachsten Fragen nicht beantworten, ich selbst musste ihnen die Gesetze erklären.

Wie geht es Ihren Kindern in Frankreich?

Mein ältester Sohn ist schon 23 Jahre alt und lebt alleine. Die anderen drei Kinder sind aber noch bei mir. Der 15-Jährige leidet immer noch unter dem Verlust seiner Freunde, der 11-Jährige hat es sehr schwer verkraftet, dass wir unseren Kater, für den er verantwortlich war, zurücklassen mussten. Nur meine 8-jährige Tochter war zwar zuerst gegen unsere Auswanderung, aber nach dem ersten Tag in der französischen Schule hat sie ihre Meinung sofort geändert. Lange Pausen und freundliche LehrerInnen, die ihr zu malen erlauben, wenn sie mit ihrer Aufgabe fertig ist, haben sie augenblicklich überzeugt.

Hat man es schwerer, wenn man als Frau flüchtet?

Als Frau mit Kindern rührt man die Herzen stärker. Deswegen hat man es vielleicht auch mit der Bürokratie leichter als ein alleinstehender Mann. Auf der anderen Seite ist vieles schwerer, denn man trägt die Verantwortung für die Kinder, und das ist eine schwere emotionale Bürde, wenn man selbst am Ende seiner Kräfte ist.

Welche Ausbildung haben Sie? Was haben Sie in Zukunft vor?

Ich habe nach meiner medizinischen Ausbildung zuerst als Operationskrankenschwester gearbeitet. Danach habe ich Soziologie und Politikwissenschaft studiert. Als ich die Organisation Planet of Hopes zu leiten begann, habe ich mich zu einem Jurastudium entschlossen. Ich musste es aber nach dem sechsten Semester abbrechen, weil ich meinen dritten Sohn bekommen habe. Trotzdem darf ich in einem Zivilverfahren in Russland als Rechtsanwältin arbeiten, und auf mein Konto gehen schon siebzig gewonnene Fälle, darunter zwei Fälle vor dem Europäischen Gerichtshof.

Ich habe die Menschen zu den Gerichtsterminen begleitet. Es ist jetzt sehr schwierig, jemanden für meine Stelle in Ozersk zu finden, der/die nach den Ereignissen keine Angst hat, sich den Behörden zu widersetzen. Ich berate die Betroffenen aber weiter übers Internet.

Jetzt möchte ich diese Menschen auch auf der internationalen Ebene vertreten. Nächstes Jahr jährt sich der Unfall in Majak zum sechzigsten Mal. Russland möchte die Anlage nicht schließen, sondern plant sogar, sie zu erweitern. Die internationale Öffentlichkeit muss dagegen etwas unternehmen.

Nadezhda Kutepova ist auch aus dem Exil weiter für die Organisation Planet of Hopes tätig.

Jeanna Krömer wohnt und schreibt in Berlin zu den ex-sowjetischen Ländern, Menschenrechten und Diversity. Kontakt: [email protected]

Quelle: An.Schläge