Die russische Antiatom-NGO Ecodefense (www.ecodefense.ru) ist wieder einmal dafür mit einer Geldstrafe belegt worden, weil sie sich weigert, sich beim Justizministerium des Landes als „ausländischer Agent“ registrieren zu lassen. Entschieden hat darüber eine Gerichtsverhandlung, zu der, wie Vladimir Slivyak, der Ko-Vorsitzende der Organisation, sagt, die Gruppe nicht einmal eingeladen worden war.
Die russische Antiatom-NGO Ecodefense (www.ecodefense.ru) ist wieder einmal dafür mit einer Geldstrafe belegt worden, weil sie sich weigert, sich beim Justizministerium des Landes als „ausländischer Agent“ registrieren zu lassen. Entschieden hat darüber eine Gerichtsverhandlung, zu der, wie Vladimir Slivyak, der Ko-Vorsitzende der Organisation, sagt, die Gruppe nicht einmal eingeladen worden war.
Slivyak berichtete in einem Interview für www.bellona.org, dass Ecodefense erst am Montag, den 20. Juli 2015, von einem Richter aus Kaliningrad darüber informiert worden sei, dass seine Umweltgruppe am 3. Juli mit einem Bußgeld von 100.000 Rubeln ($1,700) belegt worden war, weil sie sich nicht als „ausländischer Agent“ hatte registrieren lassen. Slivyak sagte, seine Gruppe habe keine Vorladung zu dieser Verhandlung erhalten und weigere sich somit auch, die Strafe zu zahlen.
Die Selbstdeklaration als „ausländischer Agent“ ist laut eines kontroversen russischen NGO-Gesetzes aus dem Jahre 2012 für Non-Profit-Organisationen vorgeschrieben, welche finanzielle Unterstützungen aus dem Ausland bekommen und sich im Zusammenhang mit vage definierten politischen Themen engagieren. Sie müssen sich des Weiteren der Pflicht unterwerfen, aufwändige Berichte vorzulegen und unterstehen einer besonderen Aufsicht.
Auch fordert das Gesetz, dass derartige NGOs auf all ihren Publikationen anzuführen haben, ausländische Agenten zu sein. Die große Mehrheit von Russlands NGOs ignorierte dieses Gesetz, als es im November 2012 in Kraft trat, da es ja indirekt besage, sie seien als ausländische Agenten Spione oder Landesverräter.
Die Organisation Ecodefense kritisierte das Gesetz in einer russischsprachigen Aussendung und meinte dazu: „Wir betrachten die Aktionen des Justizministeriums (welche dazu geführt haben, dass wir in diesem Sieb als „ausländische Agenten“ definiert werden) als grundsätzlich politisch motiviert und darauf ausgerichtet, den guten Ruf der Bürgerrechtsbewegung zu zerstören, einer Bewegung, welche die russischen Rechte verteidigt“.
Offensichtlich frustriert von der Tatsache, dass sich kaum jemand als „Ausländischer Agent“ registrieren lassen wollte, ermächtigte Präsident Vladimir Putin im Juli das Justizministerium, selbständig NGOs als Agenten listen zu können. Einige Tage später wurde dieses Fangnetz über Ecodefense ausgeworfen. Dieser ersten russischen Umweltgruppe, die als „ausländischer Agent“ definiert worden war, wurde mitgeteilt, sie habe gegen das Gesetz verstoßen, da sie gegen den Bau des baltischen Atomkraftwerkes in Kaliningrad protestiert habe. Ecodefense erhielt einen Brief vom Justizministerium, worin stand, dass Kritik gegen die Pläne der Regierung, ein Atomkraftwerk zu bauen, einer Kritik an der Regierung selbst gleichkäme, was wiederum vom Justizministerium als „politische Aktivität“ charakterisiert wurde.
Slivyak gab zu (auch in öffentlichen Anhörungen), dass seine Gruppe Gelder von der Europäischen Union und von verschiedenen deutschen Umweltgruppen erhalten habe.
Zuvor schon war Ecodefense mit einer Geldstrafe von 300.000 Rubeln ($ 5,200 laut aktuellem Wechselkurs) belegt worden, weil sich die Gruppe geweigert hatte, sich als „Ausländischer Agent“ freiwillig und von sich aus auf die Liste zu setzen.
Slivyak sagte, dass seine Gruppe auch diese Strafe nicht zahlen werde. Die Entscheidung der Gruppe, die Geldbußen zu ignorieren, habe keinen weiteren strafrechtlichen Eingriff zur Folge gehabt.
„Es gibt international viel Unterstützung und Solidarität (mit den russischen NGOs)“, meinte er. „Die Menschen helfen uns, so dass wir weitermachen können“.
Slivyak war tatsächlich auf einer mehrwöchigen Tournee in Südafrika, wo er versuchte, die Bemühungen des russischen Atomkonzerns Rosatom zu vereiteln, der mit Johannesburg ein Abkommen zum Bau von mehreren AKWs abschließen möchte. Er erlebte dabei keinerlei Behinderungen vonseiten der Behörden.
„Ziviler Ungehorsam ist ein Mittel zur Veränderung, wenn man das Gefühl hat, dass Veränderung absolut nötig ist“, sagte er. „Wir ignorieren ihr Gesetz – wir werden den russischen Behörden nicht die entsprechenden Berichte liefern, wir werden in unseren Publikationen nicht behaupten, dass wir ausländische Agenten sind und wir werden uns den von ihnen geforderten Audits nicht unterziehen. Wir werden ihnen nur sagen, dass wir keine Agenten sind. — Wir machen das nicht, weil so etwas nur Agenten tun, die wir nicht sind“.
Er fügte hinzu, dass die Behörden die Gruppe davon informiert hätten, dass im August ein neuerliches Audit nötig sein würde.
„Sie wollen, dass wir ihnen alles vorlegen, Projektpläne, finanzielle Details, Publikationen – einfach alles“, sagte er. Aber, meinte er, ecodefense würde die Inspektoren enttäuschen, wenn sie kämen. „Höchstwahrscheinlich werden wir ihnen gar nichts geben“.
Jedoch ist solch eine krasse Vorgehensweise auch riskant. Slivyak bemerkte dazu, dass die Tage seiner Gruppe gezählt sein könnten. „Wir vermuten, dass nach der Inspektion im August die Behörden damit beginnen werden, das Funktionieren unserer Gruppe zu verunmöglichen“, sagte er.
Ein Sprecher des Justizministeriums äußerte in einem Interview für Bellona auch, dass die gesetzlichen Maßnahmen eskalieren könnten, bis hin zur Verhaftung der Führungspersonen der Gruppe. Slivyak blieb aber optimistisch und meinte, langfristig hätte es vielleicht sogar einen positiven Effekt, wenn man das NGO-Gesetz ignorieren würde.
„Man weiß nie, was die Regierung gerade plant. Wir kriegen unser Land früher oder später aber wieder zurück – alles eine Frage der Zeit“.
Bis dahin werde seine Gruppe sich weigern, Bußgelder an die Regierung zu zahlen und sich einschüchtern zu lassen. Man werde weiterhin Anti-Atom-Arbeit machen. „Regeln sollte man nicht befolgen, wenn sie unfair sind“, sagte er.
Die Organisation Human-Rights-Watch berichtet, dass am 8. Juli 2015 das Justizministerium 74 Gruppen auf seine Liste der „ausländischen Agenten“ gesetzt hatte. Zusammen mit Ecodefense schließt das viele weitere Umweltgruppen ein, unter anderem: Bellona Murmansk, Planeta Nadezhd (Planet der Hoffnung, eine Umweltgruppe Einwohnern der Region Süd-Ural, die von radioaktiver Verseuchung durch das Mayak-Chemiewerk betroffen sind), Dront von Nizhny Novgorod, Rostovs Ecologika, Samaras Bildungszentrum für Umwelt und Sicherheit und viele andere.
Der Angriff auf „Ausländische Agenten“ betrifft auch Gruppen, die sich für Pressefreiheit und die Rechte von Homosexuellen, Lesben, Bi- und Transsexuellen einsetzen.