Russische Behörden diffamieren allerlei Stiftungen und Vereine als “ausländischen Agenten”

Dmitrij Peskow, der ewige Sprecher des ewigen Wladimir Putin, kann sich offenbar nicht vorstellen, dass seine sorgfältig ausgewählten Worte noch jemanden in Russland kränken können. Vor allem: Doch nicht einen Milliardär.

Dmitrij Peskow, der ewige Sprecher des ewigen Wladimir Putin, kann sich offenbar nicht vorstellen, dass seine sorgfältig ausgewählten Worte noch jemanden in Russland kränken können. Vor allem: Doch nicht einen Milliardär.

Der Milliardär heißt Dmitrij Simin und ist der wichtigste Mäzen Russlands. Seine Stiftung Dinastija vergibt Stipendien und Preise, verlegt populärwissenschaftliche Bücher, veranstaltet Sommerschulen, zu denen sie Nobelpreisträger einlädt, damit diese erzählen, wie man Nobelpreisträger wird. Also wichtige, bedingt spektakuläre Sachen, die man als Mäzen so macht, um junge Leute für die Wissenschaft zu begeistern, und zu verhindern, dass sie danach in Richtung Harvard oder Silicon Valley durchbrennen. Geplantes Budget der Stiftung dieses Jahr: 7,5 Millionen Euro.

Vergangene Woche erklärte Russlands Justizministerium Dinastija zu einer, Achtung: "die Funktionen eines ausländischen Agenten ausführenden nichtkommerziellen Organisation". Begründung: Die Stiftung erhalte Geld aus dem Ausland und betätige sich politisch.

Innostrannij agent, "ausländischer Agent", das klingt in russischen Ohren ungefähr so reizend wie "Mittelohrentzündung" oder "Gestapo". Für jemanden, der erwiesenermaßen weder Geld aus dem Ausland erhält noch sich politisch betätigt, muss es sogar sehr verletzend klingen. Dmitrij Peskow, der Sprecher des Präsidenten, schob dann auch hinterher, dem Mäzen stünden alle juristischen Mittel zur Verfügung, um die Entscheidung der Kollegen vom Justizministerium anzufechten.

Dmitrij Simin erwartet eine Entschuldigung. Sonst mache er seine Stiftung zu

Aber der Mäzen, bereits 82 Jahre alt, hat keine Lust, die Entscheidung der Kollegen vom Justizministerium anzufechten. "Die Stiftung macht zu, wir fechten nichts an", sagte er Forbes. "Vor Gericht ziehen, damit ich die Möglichkeit habe, mein eigenes Geld zu spenden? Auf keinen Fall."

Simin erwartet eine Entschuldigung, von möglichst oben. Dann sei er bereit, die Finanzierung von Dinastija wieder aufzunehmen. Auf Anfrage sagt der Stiftungsrat in Moskau, man tage am Montag noch einmal, der Klarheit halber, bis dahin gebe es keine weiteren Kommentare.

Simin ist nicht nur deswegen der wichtigste Mäzen Russlands, weil er das meiste Geld spendet, sondern weil er das Geld, das er spendet, selbst erarbeitet hat. Anders als all die wohltätigen Oligarchen, die in den Neunzigern mit dreckigen Privatisierungsgeschäften groß wurden und heute Schulen und Krankenhäuser sponsern, gründete er 1992 VimpelCom, die erste Mobilfunkfirma Russlands, die er 1996 an die New Yorker Börse brachte. Da war Simin schon über 60. Er hatte eine Karriere als sowjetischer Physiker hinter sich. Hatte den Don2-N-Radar entwickelt, der bis heute Moskau vor ballistischen Raketen schützt. 2001 verzog sich Simin bei VimpelCom auf den Posten des Ehrenpräsidenten und gründete seine Stiftung.

Das Geld, mit dem er chronisch mittellose russische Naturwissenschaftler fördert, lässt sich Simin von seinen ausländischen Konten überweisen, wo es sicherer angelegt ist als in Russland. In diesem Punkt werden ihm auch die wohltätigen, Yacht fahrenden, fußballvereinsbesitzenden Oligarchen zustimmen, die keine Probleme mit dem Kreml haben. So viel zum Vorwurf der Finanzierung aus dem Ausland.

Punkt zwei der Anklage: politische Betätigung. Auf der Internetseite der Stiftung steht, was genau sie finanziert. Internationale Konferenz zum Thema Polynomial Computer Algebra, April 2015, Sankt Petersburg. Laboratorium zur Erforschung molekularer Alterungsmechanismen. Der sechste Schülerwettbewerb unter Kindern mit einer Begabung für Physik, Mathematik, Chemie und Biologie, 5. bis 11. Klasse.

Warum ist Simin dann ins Visier der Kollegen vom Justizministerium geraten? Der Astronom Wladimir Surdin, Gewinner eines Dinastija-Preises und einer der beliebtesten Moskauer Dozenten, nannte im oppositionellen NischensenderDoschd ein sehr banales Motiv: "Simin hat sein Geld nie mit Beamten geteilt. Er hat nicht einmal mit seiner Familie geteilt."

Auf der Liste der "ausländischen Agenten", die im Sommer 2013 angelegt wurde und regelmäßig aktualisiert wird, steht Dinastija auf Position 3. Vor ihr: die kleinere Wissenschaftsstiftung Liberalnaja Missija und, als letzte hinzugefügt, die Arbeitnehmervereinigung des Städtchens Jefremow in der Region Tula. Insgesamt 67 Nichtregierungsorganisationen – allesamt Agenten: Das Antifolter-Komitee aus Nischnij Nowgorod. Die Frauen-Liga aus Kaliningrad. Die Soldatenmütter aus Sankt Petersburg. Und die wohl bekannteste russische Menschenrechtsorganisation, Memorial, unterstützt unter anderem von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Deutsch-Russischen Austausch e.V.

Einer der Leiter von Memorial, Alexander Tscherkasow, sagt dazu am Telefon aus Moskau: "Seit wir auf der Liste stehen, werden wir von Beamten nicht mehr ernst genommen." Memorial kriege nicht einmal offizielle Statistiken über Flüchtlinge. Russische Geldgeber kürzten ihre Unterstützung um ein Fünftel. "Es ist ein Stigma, eigentlich so lächerlich wie das Schild: Gefährlicher Außerirdischer. So ein Schild ist aber nur so lange lustig, wie patriotische Zeitgenossen sich nicht vereinigen, um die gefährlichen Außerirdischen zu bekämpfen. Genau das passiert jetzt. Es fühlt sich immer mehr an wie ein gelber Stern."

Organisationen mit dem Vermerk "Ausländischer Agent" werden nicht automatisch geschlossen. Dies blüht demnächst nur Organisationen, die auf der Liste "Unerwünschte Organisationen" landen. Ein entsprechendes Gesetz unterschrieb Präsident Putin am 23. Mai. Wer darauf landen wird? Wer auch immer die Grundlagen der russischen Verfassung und Russlands Sicherheit gefährde. Das Raten und Bangen hat begonnen.

Quelle: Süddeutsche Zeitung