Offener Brief von Arsenij Roginskij, Vorstandsvositzender von Memorial International, an Justizminister Alexander Konowalow

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An den

Justizminister der Russischen Föderation

Alexander Konowalow

Sehr geehrter Herr Minister,

ein durch das Handeln Ihrer Untergebenen hervorgerufenes belastendes Unverständnis bringt mich dazu, mich an Sie zu wenden.

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An den

Justizminister der Russischen Föderation

Alexander Konowalow

Sehr geehrter Herr Minister,

ein durch das Handeln Ihrer Untergebenen hervorgerufenes belastendes Unverständnis bringt mich dazu, mich an Sie zu wenden.

Im Oktober dieses Jahres hat die Hauptverwaltung des Justizministeriums der RF für Moskau zum wiederholten Mal eine Prüfung des Menschenrechtszentrum Memorial durchgeführt. Diese Organisation ist Teil des Netzwerks Internationale historisch-aufklärerische, wohltägige und menschenrechtliche Gesellschaft Memorial, deren Vorstand vorzusitzen ich die Ehre habe.

Der Bericht über die durchgeführte Kontrolle (Aktenzeichen 77/03-47960 vom 30. Oktober) enthält größtenteils Hinweise darauf, dass die Satzung im Zusammenhang mit Änderungen der Zivilgesetzgebung in den vergangenen Jahren geändert werden muss. Das ist nicht unerwartet, die notwendigen Änderungen vorzunehmen wurde ohnehin für die kommende Mitgliederversammlung geplant.

Gegen einige andere Beanstandungen, mit denen unsere Kollegen aus dem Menschenrechtszentrums nicht einverstanden sind, werden sie gemäß den gesetzlichen Regeln Einspruch erheben.

Vor dem Hintergrund dieser durchaus alltäglichen Beanstandungen erstaunen die Schlüsse besonders, die der Bericht auf den Seiten 10 und 11 zieht: „Mit ihren Handlungen untergraben die Mitglieder des Menschenrechtszentrums Memorial die Grundlagen der Verfassung der Russischen Föderation, indem sie zum Sturz der gegenwärtigen Staatsmacht und zum politischen Regimewechsel aufrufen“.

Als Begründung für diese fantastische Anschuldigung führen die Mitarbeiter des Justizministeriums einige Expertenmeinungen an und verweisen auf öffentliche Aussagen von Memorial:

Die Behauptung vom 29.8.2014, dass sich russische Soldaten unmittelbar am bewaffneten Konflikt im Osten der Ukraine beteiligen und dass das Vorgehen Russland gegen die Ukraine als Aggression gewertet werden kann, wie sie in der Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 14. Dezember 1974 niedergelegt sind.

Das Nichteinverständnis vom 24.2.2014 mit dem, nach Meinung von Memorial, ungesetzlichen Urteil im sogenannten Bolotnaja-Prozess.

Demnach „untergraben“ also aus Sicht der Mitarbeiter des Justizministeriums kritische Meinungen zum Staatshandeln „die Grundlagen der Verfassung“ und „rufen zum Umsturz auf“.

Diese „Rechts“-Logik erinnert nicht mehr nur an die Zeiten der Sowjetmacht, als Andersdenken dem Untergaben des Sozialismus gleichgestellt wurde, sondern führt uns direkt in jene Epoche zurück.

Die Verfassung der RF garantiert die Meinungsfreiheit, die Freiheit des Wortes, die Freiheit Informationen zu suchen, zu erhalten und zu verbreiten (Artikel 29) und die Vereinigungsfreiheit (Artikel 30). Meine Kollegen vom Menschenrechtszentrum haben die von ihnen im Rahmen ihrer Menschenrechtsarbeit gesammelten Fakten dargelegt, öffentliche die auf dieser Grundlage erarbeitete Meinungen und Bewertungen abgegeben und so die ihnen von der Verfassung garantierten Rechte ausgeübt.

Die vom Justizministerium in seinem Bericht über die Kontrollen des Menschenrechtszentrums Memorial benutzten Formulierungen sind nichts anderes als ein Versuch, eben diese verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten einzuschränken, was die Verfassung direkt verbietet. Ob ihre Untergebenen das aus Unwissenheit machen oder böswillig, weiß ich nicht.

Zudem beinhaltet der Kontrollbericht, ob nun aus Flüchtigkeit oder wegen Voreingenommenheit, einige faktische Ungenauigkeiten. So werden zum Beispiel dem Menschenrechtszentrum einige Aussagen zugeordnet, die eine ganz andere Organisation, nämlich Memorial International, zu verantworten hat. Das sind aber im Vergleich zu den oben angeführten politischen Aussagen natürlich Kleinigkeiten.

Sehr geehrter Herr Minister! Ich wende mich an Sie mit der Bitte, dien Kontrollbericht zur Tätigkeit des Menschenrechtszentrums Memorial vom 30. Oktober 2015, zumindest in den Teilen, die die absurden politischen Anschuldigungen betreffen, aufzuheben und eine dienstliche Untersuchung zu veranlassen, wie solch ein Dokumente mit solchen Aussagen entstehen konnte. Diese Art von Kontrollberichten sind nicht nur für die zivilgesellschaftlichen Organisationen schädlich, gegen die sie gerichtet sind. Sie untergraben auch das Vertrauen in das Ministerium, dem Sie vorstehen. Am wichtigsten aber ist, dass sie Misstrauen gegen die Verfassung hervorrufen. Und das ist gefährlich.

Hochachtungsvoll,

Arsenij Roginskij

Vorstandsvorsitzender

Memorial International

Übersetzung: Jens Siegert

http://russland.boellblog.org/2015/11/20/offener-brief-von-arsenij-roginskij-vorstandsvositzender-von-memorial-international-an-justizminister-alexander-konowalow/