Volk, höre die Signale

Zivilgesellschaftliches Engagement wird von den Machthabern in Russland nicht gern gesehen. Seit Jahren stehen kritische Organisationen unter Druck. Einige reagieren darauf mit drastischen Maßnahmen.

Zivilgesellschaftliches Engagement wird von den Machthabern in Russland nicht gern gesehen. Seit Jahren stehen kritische Organisationen unter Druck. Einige reagieren darauf mit drastischen Maßnahmen.

Von „Golos“ halten die russischen Behörden nicht viel: Die Organisation, deren Name übersetzt „Stimme“ heißt, befasst sich mit Wahlbeobachtung. Es ist zu einem großen Teil ihren Aktivisten zu verdanken, dass in den vergangenen Jahren Manipulationen bei vielen nationalen und regionalen Wahlen gut und nachvollziehbar dokumentiert worden sind. Schon vor der Parlamentswahl 2011 wurde „Golos“ von den Behörden deshalb massiv unter Druck gesetzt. Ein halbes Jahr später, nachdem in der Zwischenzeit in Moskau mehrmals Zehntausende gegen Fälschungen bei Parlaments- und Präsidentenwahlen demonstriert hatten, war „Golos“ die erste Organisation, auf die das neue Gesetz über „ausländische Agenten“ angewandt wurde: Mit diesem Begriff, der in Russland in sowjetischer Tradition vielfach als Synonym für „Feind des Vaterlandes“ verstanden wird, sollen sich alle Nichtregierungsorganisationen bezeichnen, die Mittel aus dem Ausland erhalten und sich politisch betätigen – wobei die Definition für politische Aktivität so weit gefasst ist, dass im Grunde jede Organisation, die sich am gesellschaftlichen Leben beteiligt, darunter fallen kann.

Unter dem Etikett „ausländischer Agent“ wollte „Golos“ nicht weiter arbeiten. Die Organisation löste sich im Sommer 2013 auf, um sich bald darauf in anderer rechtlicher Gestalt wieder zu gründen. Ein weites, über fast ganz Russland gespanntes Netz von Mitarbeitern beobachtet weiter Wahlen. Einen ähnlichen Weg will nun das „Komitee gegen Folter“ gehen, das wie „Golos“ eine in vielen Teilen Russlands vertretene Organisation ist, die sich von der politischen Opposition fernhält und nichts anderes versucht, als Behörden dazu zu bringen, sich an Gesetze zu halten. Beliebt hat sich das Komitee damit nicht gemacht – vor allem dann nicht, wenn es Erfolg hatte: In mehr als hundert Fällen hat es in den vergangenen fünfzehn Jahren erreicht, dass Mitarbeiter der Sicherheitsorgane wegen Folter verurteilt worden sind. In der tschetschenischen Hauptstadt Grosnyj ist das Büro der Organisation allein in diesem Jahr zweimal unter den Augen der Polizei von einem Mob verwüstet worden. Vergangene Woche hat das „Komitee gegen Folter“ nun seine Selbstauflösung angekündigt, nachdem es mit einer Klage gegen die Eintragung in das Register der „ausländischen Agenten“ gescheitert war. Daraus, dass seine Arbeit mit Mitteln aus dem Ausland finanziert wurde, hat die Organisation nie ein Geheimnis gemacht – von wem sie wie viel erhalten hat, ist auf ihrer Website nachzulesen.

Aufgeben wollen die Leute vom „Komitee“ nicht: Sie wollen ihre Arbeit nun auf mehrere neue Organisationen verteilen. Ausgegliedert werden soll vor allem der öffentliche Teil der Arbeit, etwa Empfehlungen an Staatsorgane, wie Folter in Polizeistationen bekämpft werden kann, da dieser von der Staatsanwaltschaft als „politisch“ bezeichnet wurde. Diejenigen Organisationen, die sich allein mit der Unterstützung von Folteropfern befassen, könnten dann – so die Hoffnung, weiter Geld aus dem Ausland bekommen.

faz.net