St. Petersburg: LGBTI-Aktivisten bei 1.-Mai-Demo festgenommen

Einer der Festgenommenen mit Kunstblut aus der verhinderten Protestaktion zu Tschetschenien. Auf dem Schild steht, nach einem in Russland berühmten Gedicht von Iwan Turgenew: "Wie schön, wie frisch werden die Rosen sein, die mein Land in mein Grab werfen wird"

Einer der Festgenommenen mit Kunstblut aus der verhinderten Protestaktion zu Tschetschenien. Auf dem Schild steht, nach einem in Russland berühmten Gedicht von Iwan Turgenew: "Wie schön, wie frisch werden die Rosen sein, die mein Land in mein Grab werfen wird"

Wie im Vorjahr hat die Polizei in St. Petersburg am Montag gezielt LGBTI-Aktivisten festgenommen, die sich an der großen Demonstration von Oppositionsgruppen zum 1. Mai beteiligt hatten.

So wurden ersten Medienberichten zufolge rund zehn Personen festgenommen, als sie inmitten der Demonstration ein "Die-In" veranstalteten, um auf die Situation in Tschetschenien hinzuweisen – in der teilautonomen Republik im Nordkaukasus waren in den letzten Monaten über 100 Männer wegen angeblicher Homosexualität durch Sicherheitskräfte verschleppt worden.

Die Demonstranten hatten sich in Regenbogen- und Tschetschenienflaggen gewickelt auf den Boden gelegt und waren von einem Mitstreiter mit Kunstblut besprenkelt worden. Die Polizisten brachten sie in Busse, mit denen die Aktivisten auf eine Wache gebracht wurden.

Einige Minuten zuvor waren laut der Lokalzeitung "Fontanka" bereits mehrere LGBTI-Aktivisten an einem anderen Abschnitt der Demo festgenommen worden, darunter der landesweit bekannte Menschenrechtler Igor Koschetkow, der zusammen mit dem LGBT Network die Flucht Betroffener aus Tschetschenien koordiniert. "Kadyrow nach Den Haag" habe einer der Aktivisten während der Festnahme gerufen, so "Fontanka" – also die Forderung aufgestellt, den tschetschenischen Präsidenten wegen der Schwulenverfolgung vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen.

Früher ließ die Polizei die Proteste gewähren

Die Kundgebungen zum 1. Mai dauern zur Stunde noch landesweit an. Bei Protesten festgenommene Personen werden in der Regel nach wenigen Stunden auf der Wache wieder freigelassen. Auch im letzten Jahr waren LGBTI-Aktivsten gezielt bei der Demo zum 1. Mai in St. Petersburg festgenommen worden (queer.de berichtete).

In den Jahren zuvor hatte sich ein LGBTI-Block bei der tradtionellen Demonstration zum 1. Mai zur größten jährlichen Demo von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transsexuellen in Russland entwickelt. 2015 wurde die Teilnehmerzahl beim "Regenbogen-Block" auf über 600 Menschen geschätzt.

Der traditionelle Marsch von Gewerkschaften, Oppositionsparteien und sozialen Bewegungen bot LGBT eine rechtlich passable wie niedrigschwellige Möglichkeit zur Beteiligung. Selbst als der homofeindliche Politiker Witali Milonow 2015 am Rande der Demonstration ausrücklich Polizisten aufforderte, Demonstranten mit Regenbogenflaggen festzunehmen, schritten diese nicht ein. An diesem Montag musste Milonow, der inzwischen Duma-Abgeordneter ist, Medienberichten zufolge von der Polizei davon abgehalten werden, auf Demonstranten loszugehen.

Merkel trifft am Dienstag auf Putin

Am Dienstag trifft Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Sotschi mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammen. Derzeit fordern Aktivisten mit einer bis Dienstag durchgehenden Gitterkäfig-Mahnaktion vor dem Bundeskanzleramt, den "ChechnyaStreetDays", dass sich Merkel für die verfolgten Schwulen in Tschetschenien einsetzen soll (mehr dazu hier).

Medienberichten zufolge waren in den letzten Monaten über 100 Männer in der autonomen Republik durch Sicherheitskräfte verschleppt, gefoltert und teilweise getötet worden. Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, hatte am letzten Mittwoch im Bundestag erklärt, dass die Berichte glaubwürdig seien und dass sein Amt sowohl in Kontakt mit verfolgten Schwulen aus der Region steht als auch mit Personen, die Hilfe für sie organisieren (queer.de berichtete). Das russische LGBT Network ruft derweil weiter zu Spenden auf, um Betroffenen bei der Flucht zu helfen.

Update  20h: Mehrere Aktivisten weiter festgehalte

Alle zehn Aktivisten, die am Vormittag bei dem "Die-In" festgenommen und zur Polizeiwache 43 gebracht wurden, sind nach über sieben Stunden freigelassen worden:

Sieben weitere Aktivisten, die etwas früher festgenommen wurden, waren zur Wache 23 gebracht worden. Eine minderjährige Person wurde den Eltern übergeben, die übrigen sechs Festgenommenen, darunter Igor Koschetkow und sein Lebenspartner, befinden sich weiterhin auf der Wache und könnten laut eigenen Angaben und Informationen von "OVD Info" über Nacht festgehalten werden. Ihnen droht den Berichten zufolge ein Schnellverfahren wegen Widerstandes gegen Polizeibeamte, was mit bis zu 15 Tagen Haft geahnet werden könnte.

Ungeachtet der Festnahmen war in der Stadt die Kundgebung zum 1. Mai samt LGBTI-Beteiligung weitergegangen. Im sozialen Netzwerk vk gibt es dazu eine Galerie.

queer.de