Folter als Ermittlungsmethode in Pensa und St. Petersburg

In einem verschlafenen Provinznest will der russische Geheimdienst ein anarchistisches Terrornetzwerk ausgehoben haben. Die Verhafteten berichten von schwerer Folter.

In einem verschlafenen Provinznest will der russische Geheimdienst ein anarchistisches Terrornetzwerk ausgehoben haben. Die Verhafteten berichten von schwerer Folter.

Meldungen über die Aufdeckung geplanter terroristischer Straftaten im islamistischen Milieu sind in Russland nichts Ungewöhnliches. Dass der Inlandgeheimdienst FSB jüngst erstmals einer anarchistischen Verschwörung auf die Spur gekommen sein will, macht indes hellhörig. Ausgerechnet in der verschlafenen Provinzstadt Pensa, die etwa 600 Kilometer östlich von Moskau liegt, soll sich bereits 2014 eine Gruppe junger Männer in einer straff organisierten Terrorzelle zusammengetan und später Kader in St. Petersburg, Moskau und dem benachbarten Belarus angeworben haben. Dort seien weitere Zellen entstanden, die sich vernetzt hätten. Anführer soll der 27-jährige ausgebildete Schützentrainer Dmitri Ptschelinzew sein.

Das «Netzwerk» – so lautet die Gruppenbezeichnung in den Ermittlungsakten – habe nach Erkenntnissen des FSB für den Tag der Präsidentschaftswahlen im März und für die Tage der Fussballweltmeisterschaft Anschläge auf Angehörige der Sicherheitsstrukturen, die Führung der Kremlpartei Einiges Russland und VertreterInnen der lokalen Machtapparate geplant. Wo in anderen Fällen von Terrorismus ganze Waffenarsenale und Bombenwerkstätten präsentiert werden, sieht es mit den Beweisen gegen die bislang insgesamt acht festgenommenen Verdächtigen lausig aus. Bei Ptschelinzew wurden einige berufsbedingt in seinem Besitz befindliche legale Waffen sichergestellt. Dazu kommen zwei Granaten und eine Pistole. Kennengelernt hätten sich die vermeintlichen Verschwörer an Konzerten. Im Weiteren habe der gemeinsame Zeitvertreib mit dem Geländespiel «Airsoft» zur Vorbereitung eines bewaffneten Aufstands gedient.

Zahlreiche Brandwunden

Was sich wie eine Erzählung über Revolutionäre aus einem anderen Jahrhundert anhört, liegt den Ermittlern schriftlich dokumentiert vor. Bereits nach der ersten Festnahme in Pensa Mitte Oktober gab ein Verdächtiger belastende Aussagen zu Protokoll und wurde Wochen später im Gegenzug aus der Untersuchungshaft entlassen.

Ein anderer Verdächtiger, Wassili Kuksow aus Pensa, macht von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Aber der FSB kann sich offenbar auf durch Misshandlungen erpresste umfangreiche Geständnisse seiner Mitgefangenen stützen, die für eine Verurteilung ausreichen – wie in der russischen Nordkaukasusrepublik Tschetschenien, wo der Justizapparat fast gänzlich auf andere Formen der Beweismittelerhebung verzichtet. Reicht psychologischer Druck nicht aus, kommt rohe Gewalt zur Anwendung. In russischen Polizeiwachen sind Misshandlungen generell keine Seltenheit, aber dass der FSB Foltermethoden in politischen Verfahren wie diesem anwendet, zeigt, dass sich die Entwicklung dramatisch zuspitzt.

Dmitri Ptschelinzew berichtete seiner Frau, er sei über Wochen in Einzelhaft gefoltert worden. Sein erster Anwalt hielt diese Informationen zurück, während sein neuer Verteidiger Details aus den Erzählungen seines Mandanten offenlegte. Die skandalösen Umstände der Strafermittlungen gegen das «Netzwerk» erreichten jedoch erst nach der Festnahme zweier Antifaschisten in St. Petersburg Ende Januar eine breitere Öffentlichkeit: Wiktor Filinkow und Igor Schischkin erhielten Besuch von Mitgliedern einer unabhängigen Beobachterkommission, die die Haftbedingungen in russischen Justizvollzugsanstalten überprüft. In ihrem Bericht steht, dass an den Körpern der beiden Aktivisten zahlreiche Brandwunden, die vermutlich von Elektroschockbehandlungen stammen, und andere deutlich sichtbare frische Anzeichen schwerer Misshandlungen zu sehen waren.

Punkte sammeln vor der Wahl

Filinkow legte der Kommission und später seinem Anwalt ausführlich den Verlauf seiner Festnahme bis zum ersten offiziellen Verhör dar. Demnach sollen ihn maskierte Männer, vermutlich FSB-Angehörige, fast vier Stunden lang in einem Auto malträtiert haben. Ein Mann ohne Maske drängte ihn offenbar, belastende Formulierungen auswendig zu lernen und diese später bei der Vernehmung und vor Gericht zu wiederholen. Einen seiner Peiniger sah er Tage später in U-Haft wieder, als dieser mit Konsequenzen drohte, sollte Filinkow weiterhin offen mit den Kommissionsmitgliedern sprechen. Während Filinkow auf einer behördlichen Untersuchung wegen Folter pocht, will Schischkin mit der vagen Aussicht auf Strafminderung mit dem FSB kooperieren.

In Pensa haben die Ermittler leichtes Spiel. Bürgerrechtsinitiativen und eine kritische Öffentlichkeit gibt es dort praktisch nicht. Das sind ideale Voraussetzungen für einen kurzen Prozess, während der Staatsschutz wenige Wochen vor der Wahl Punkte sammeln kann.

Von Ute Weinmann, Moskau 

woz.ch